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137 Kilometer 4026 Höhenmeter

05.09.2014

Ich liebe neue Abenteuer, neue Herausforderungen.

Ich weiss nicht genau, wann ich zum ersten Mal vom Nationalpark Bike-Marathon gehört hatte, aber als mir Reto nach dem zweitägigen Gebirgs-OL, The Simm, sagte, dass sein nächster Wettkampf auf dem Bike stattfinden würde, meldete ich mich kurzerhand für die Paradestrecke an. Start und Ziel befinden sich in Scuol, dazwischen gilt es um den Nationalpark herum 137 Kilometer und 4026 Höhenmeter zu bewältigen.

Bereits eine Ewigkeit vor dem Bike-Tüürli – etwa eine Woche vorher – versuchte ich in Scuol eine Unterkunft zu finden. Da alle Gasthäuser ausgebucht waren, entschied ich mich für die kostengünstigere Variante: wildes Campieren. Weitere potentielle Ausgaben wurden mit einer Anreise nach 19:00 und einem Sack um das Bike herum verhindert. Ich hoffte zudem, dass ich mir von den 7000 CHF Preisgeld ein ordentliches Kuchenstück abschneiden würde, um dieses Abenteuer auch finanziell lohnenswert zu machen.

Um 04:45 klingelte der Wecker. Ich schlief weiter. Erst um 05:00 wurde ich von der Backup-Lösung aus dem Schlaf gerissen. Anziehen, Mätteli, Schlafsack und Zelt verstauen, zur Eishalle fahren, Startnummer entgegen nehmen. Eine knappe halbe Stunde später schaufelte ich bereits einen Teller Penne Bolognese in mich hinein. Dann gings an die ungewohnten Startvorbereitungen: den Tipp von Reto, mir wegen fehlender Windstopperschicht Zeitungen ins Leibchen zu stopfen, ignorierte ich und misste es auch zu einem Funktionär zu gehen und die überstehenden Kabelbinderenden mit welchen die Startnummer befestigt wurde, abschneiden zu lassen. Gewicht sparte ich indem ich nur zwei der drei Kabelbinder verwendete ;-).

Im Startgatter durfte ich die Bikes meiner Konkurrenten bestaunen. Ich sah viele ultraleichte Karbon-Hardtails, einige Fullys und neben mir wagte sich tatsächlich jemand mit einem Fatbike auf die Strecke. Nach einer Safetycarphase durch Scuol startete ich langsam und hatte noch genügend Schnauf um mit dem langjährigen Kollegen Roger Wintsch zu spassen. Bald musste dieser jedoch auf seinen Bruder warten und ich war auf mich alleine gestellt. Ich entschloss mich einen Gang nach oben zu schalten und überholte auf den ersten 1000 Höhenmetern bis zum Costainas Pass permanent Leute. Die einzige Ausnahme bildete ein kurzer WC-Stopp. Wie man das kleine Geschäft auf dem Fahrrad erledigen sollte blieb mir schleierhaft...

In der ersten Abfahrt nach Tschierv stellte ich fest, dass ich bergab nicht mithalten konnte. Das muss nicht erstaunen, bin ich doch für meine extrem vorsichtige und zurückhaltende Handlungsweise bekannt. Bergauf nach Döss Radond blieben die Draufgänger bald zurück. Ich überholte immer teurere Karbon-Schlitten und sah inzwischen meistens das leichteste erhältliche Schaltsystem von Sram mit 1x11 Gängen, welches 1000 Euro kostet. Dank meinem WG-Kollegen Florian Howald war ich ebenfalls sehr gut ausgerüstet. Ich fuhr ein ehemaliges Thömus-Weltcup-Bike, welches 8 kg wiegt.

Es folgte der schönste Abschnitt des Bike-Marathons. Nach einem Highspeedabschnitt im Val Mora, wo man immer wieder bemitleidenswerte Athleten am Wegrand mit einem Platfuss angetroffen hat, verengte sich die Kiesstrasse zu einem flowigen Singletrail. Voll konzentriert aber mit viel Spass kurvte ich über das graue Schuttpfädchen. Da in diesem Abschnitt ein Sturz gröbere Verletzungen mit sich ziehen würde, brach das Tempo etwas ein und unser Grüppchen wurde immer grösser. Man war froh erste Überholmöglichkeiten zu erspähen und passierte die lahme Ente an der Spitze – damit bin ich nicht gemeint!

Weiter ging es über den Minipass Alpisella hinunter zum türkisfarbenen Lago di Livigno, wo man sich für den Monsteraufstieg auf den Chaschauna Pass vorbereiten musste. Denn nach gut dreieinhalb Stunden Fahrzeit, 70 Kilometern und 2000 Höhenmetern galt es auf einer Strecke von 3.5 Kilometern weitere 700 Höhenmeter zu überwinden. Das bedeutete für den gewöhnlichen Pöbel: absteigen und Bike schieben. Andere Regeln galten für den Bike-Routinier Simon. In einem horrenden Tempo – etwas schneller als die gehenden Kontrahenten – fuhr dieser den Chaschauna Pass hoch. Erst an Stellen wo zuvor vermutlich auch Christoph Sauser, Lukas Buchli und Urs Huber abgestiegen waren, stieg ich vom Plastik-Esel.

Bergab fuhr ich erneut vorsichtig. Wie es dennoch zu einem Sturz kommen konnte, bleibt mir schleierhaft. Die Schlüsselstellen bereits erfolgreich überwunden, glitt ich auf einer relativ flachen Wiese mit dem Vorderrad aus und fiel zur Seite. Mir geschah nichts, doch die Schaltkabelhülle, welche zum hinteren Schaltwerk führte, wurde beschädigt und verhinderte jegliches Schalten. Daher kämpfte ich mich mit meinen verbleibenden zwei Gängen hinab nach S-Chanf, wo ich an einem Reparaturposten die Kabelhülle selber austauschen konnte. Der Frust war gross, als ich realisierte, wie mich viele Konkurrenten, welche ich bereits am Fusse des Chaschauna Passes stehen gelassen hatte, zurück überholten.

Ich preschte zur nächsten Gruppe vor mit welcher ich das Engadin hinunter raste. Erst im Aufstieg von Lavin nach Guarda trennte sich der Weizen vom Spreu. Mit meinen Kräften am Ende konnte ich knapp am Hinterrad des dritten Fahrers bleiben, die beiden stärksten musste ich ziehen lassen. Leicht coupiert zog sich die Strecke endlos bis nach Ftan hin. Nach einer kurzen Abfahrt überquerte ich nach 7:03:20.8 auf dem 49. Gesamtrang oder dem 5. Kategorienplatz die Ziellinie. Nicht schlecht für mein erstes Bikerennen. Ohne Defekt hätte es mir vielleicht sogar für Platz 3 gereicht.

Simon

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